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Vorbemerkung

 30 Jahre war ich gerne Lehrer an einer nicht ganz unproblematischen Schule. Oft waren Freunde fassungslos, wenn ich von meinem Schulalltag erzählte. Das sei ja furchtbar, bekam ich oft zu hören. Dass das aber nicht schrecklich, sondern einfach anders war, konnte ich oft nicht verständlich machen. Darum habe ich bis jetzt 40 Schulgeschichten geschrieben, einige werden noch dazu kommen. Ich habe mir nichts ausgedacht, vieles habe ich sogar wörtlich wiedergegeben, nur verdichtet und zeitlich umgestellt. Die Namen sind alle verändert.
 
Wichtig ist mir: Ich habe sehr gern an dieser Schule gearbeitet und die Schüler gemocht. Sie hatten oft großen Witz, Charme und haben meist auch unter widrigen Umständen viel gelernt. Unter gar keinen Umständen will ich mich über irgendjemanden lustig machen, ... viel Lustiges habe ich aber wirklich erlebt.

Check, Diggah

       copyright: © Thomas Benthack, November 2o19

 
Während die Schüler dieser 10. Klasse sich jetzt um die Plätze im Bioraum streiten, wird es langsam lauter. "Hallo, Herr Benti, freuen sie sich, dass ich da bin?", plinker plinker. "Ach ja, und damit Sie mir nachher keine Vorwürfe machen, ich hab heut keine Hausaufgaben." Sandra scheint auch sonst nicht viel dabei zu haben, und in ihr schickes schwarzes und mit Strass besetztes Handtäschchen passt nichts und soll bestimmt auch nichts, was zum Unterricht gehört. "Kucken Sie, ich hab'n Stift mit!"
 
So, nun schnell noch den Tafelanschrieb fertigstellen, sonst klingelt es gleich und ich wollte doch ohne die geringste Verzögerung beginnen, das klappt immer noch am besten.
 
Der Lärmpegel steigt hinter meinem Rücken. Da, jetzt ohrenbetäubendes Gebrüll. Wer ist das? Sicher Erol. Genau. Erol, groß, kräftig, kurze schwarze Haare, Strickmütze auf, Handschuhe an (und aus und an und aus), ebenso Trainingshose mit drei Streifen, bahnt sich seinen Weg mit unbekümmertem Macho-Charme und macht den andern gleich mal klar, wer hier der Chef ist. Was schreit der eigentlich? Warum? Keine Ahnung, ich habe nichts verstanden, es kommt mir vor wie ein Kampfgeschrei aus der Welt der Tiere oder eine Art Brunftruf. Das kann ja heiter werden. Habe aber einfach keine Lust ihn zurechtzuweisen, entschieden aufzutreten und so für Ruhe zu sorgen. Also gehe ich, einer spontanen Eingebung folgend - auf ihn zu.
 
"Hallo Erol", sage ich. Seine blitzenden Augen sehen mich interessiert an, "ich wollt dir mal was erzählen." Noch interessierter. Sein Grübchenlächeln erscheint. "Weißt du, manchmal fragen mich Freunde: ,Du bist doch Lehrer. Wie ist das eigentlich so als Lehrer, man hört immer so schlimme Sachen über die Jugendlichen, dass die wer weiß was anstellen und furchtbar respektlos sind.'" Erol guckt jetzt ein klein wenig irritiert, ein bisschen verständnislos. Ich versuche so zu klingen, als wolle ich ihn ins Vertrauen ziehen über etwas; er nickt und ich glaube er möchte wissen, was ich da geantwortet habe. " Ja, ich sag dann, ,Nee, das ist eigentlich gar nicht so, das ist total übertrieben. Die Schüler sind fast alle nett und arbeitsam .'" Fragend blickt er mich an und um sich herum, was soll das bloß? Was erzählt dieser Lehrer da? "Nur ab und zu übertreibt mal einer und schreit ein bisschen rum, so zum Beispiel." Und jetzt schreie ich unvermittelt mindestens so laut wie er und versuche dabei auch die gerade gehörten Laute zu imitieren. Fast alle starren mich an. Oha, jetzt bist du zu weit gegangen, denke ich, du machst dich doch lächerlich mit so einem Auftritt, nachträglich erklären kannst du das jetzt auch nicht mehr. Besser du hättest nachgedacht vor dieser sogenannten paradoxen Intervention.
 
Da blicke ich wieder in Erols Gesicht und zu meiner Überraschung entdecke ich, wie sich langsam Verstehen ausbreitet und die Grübchen wieder erscheinen. Er strahlt und langsam wird der ganze junge Mann geradezu von Freude durchschüttelt. Er erkennt sich selbst in dieser Geschichte und ... fängt an vor mir auf- und abzuspringen, dabei lauthals und immer wieder Check, Diggah, Check, Diggah zu rufen und mir begeistert Check zu geben. Die Situation ist gerettet, Erol erkennbar auf meiner Seite und Ruhe im Biokurs. Ich kann anfangen.
 
Ein halbes Jahr später, treffe ich ihn in einer Vertretungsstunde wieder. ...  
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       copyright © by: Thomas Benthack, November 2o19).
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Thomas Benthack

hat Schule gemacht und dabei viel erlebt.


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