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Lehrer Platte und sein Schüler Hein

copyright: © Ulrich Kulicke, Januar 2o14

Teil 1
     Platte ist ein Mensch und Lehrer,
     Pauker sagt man, Wissensmehrer,
     einer, der mit ganzer Kraft
     sich verschrieb der Wissenschaft
     und der jetzt als Pädagoge,
     manchmal gar als Psychologe,
     einfühlsam und auch mit Drill
     Schüler bildet, wie er's will.
     
     Platte ist ein Ass in Mathe.
     Jeder, der ihn einmal hatte,
     weiß: Der Mann ist genial.
     Sein Metier - das ist die Zahl!
     Zaubert er wie ein Jongleur,
     dann verwirrt er manches Gör,
     rechnet traumhaft akrobatisch,
     unanfechtbar mathematisch.
     
     Dennoch, Lehrer Platte ist
     auch als Schulmann Realist.
     Jeden Tag muss er erkennen,
     dass auch Schüler bei ihm pennen,
     sich dem Unterricht verschließen -
     das kann Platte schon verdrießen.
     Oft denkt er als Philosoph:
     "Ach, wie sind die Schüler doof!"
     
     Manchmal ist es auch passiert,
     dass der Platte explodiert:
     Lautstark schallt er durch die Klasse,
     dass auch jeder es erfasse,
     und er brüllt die Schüler an -
     rette sich, wer das dann kann.
     Und nach solchen Stimmgewittern
     sieht er seine Schüler zittern.
     
     Doch nicht jedem ist's gegeben -
     auch bei allergrößtem Streben -
     mathematisch zu begreifen,
     Regeln etwa einzuschleifen,
     Formeln sinnvoll anzuwenden,
     Lösungswege zu beenden.
     Kurzum: Schülers Last und Qual
     ist der Umgang mit der Zahl.
     
     Schüler Hein, ein ganz gewitzter,
     ein gewiefter und verschmitzter,
     ist in Mathe eine Niete.
     Oftmals ruft er lauthals "Schiete!",
     wenn die Rechnungen ergeben:
     Hein liegt wieder mal daneben!
     "Mathe ist", so sagt er spröde,
     "hirnerweichend, einfach blöde!"
     
     Hausaufgaben macht er selten.
     Auch wenn seine Eltern schelten,
     kümmert er sich wenig drum.
     "Schulaufgaben machen dumm!",
     tönt er dann mit kecker Miene,
     zwitschert fort zu seiner Biene,
     turtelt tagelang und länger -
     ja, der Hein, das ist ein Sänger!
     
     Lehrer Platte sieht mit Grausen,
     dass der Hein mit solchen Flausen
     hoffnungslos versagen muss.
     Darum fasst er den Beschluss,
     ihn mit fester Hand zu führen,
     auszutreiben die Allüren
     und er will ihm Beine machen:
     Ja, dem Hein vergeht das Lachen.
     
     "Frisch ans Werk!", so sagt sich Platte,
     "Hein, den forder ich in Mathe,
     fühl dem Knaben auf den Zahn,
     treib ihn an mit viel Elan
     und geb ihm ein bisschen Zunder!" -
     Hein, der merkt das, wat'n Wunder,
     und er meckert: "Platte nervt,
     dieser Typ prüft mich verschärft!"
     
     Und in allen Mathestunden
     fragt der Platte unumwunden:
     "Hein, mein Sohn, wie schaut es aus?
     Komm nach vorne, altes Haus!
     Zeig mal vor die letzten Hefte!
     Na, wie laufen die Geschäfte?"
     Sauertöpfisch blickt der Hein
     dann bei diesem Spielchen drein.
     
Teil 2
     Einmal kommt's: Die Arbeit naht.
     Nichts beruhigt mehr, auch kein Rat.
     Lehrer Platte will erfassen
     Leistungsstände seiner Klassen,
     ja, den Lernzuwachs in Mathe
     wüsste gerne Lehrer Platte.
     "Prüfen" nennt man's, das ist Pflicht
     im normalen Unterricht.
     
     Am Beginn ein "Guten Morgen!
     Macht euch bitte keine Sorgen.
     Dieser Test ist spielend leicht.
     Ich erwarte, dass es reicht
     und ein jeder alles löst!
     Wer's nicht schafft, der hat gedöst!"
     Und sodann ein böser Satz:
     "Hein, du kriegst 'nen Extraplatz!"
     
     Noch ein letztes strenges Wort,
     dann geht's los, und ab sofort
     wird ein Seitenblick zensiert,
     jeder Seufzer kommentiert,
     jedes Schummeln unterbunden,
     kleine Spickzettel gefunden:
     Platte ist an diesem Tage
     absoluter Herr der Lage.
     
     Hein versucht es ganz alleine,
     rechnet wüst und mehr zum Scheine,
     liest den Text, die Lippen beben:
     "Ach verflixt, ich wusst's noch eben!"
     Er zermartert sich sein Hirn,
     tiefe Falten auf der Stirn,
     seine Haare wild zerzaust
     und die Hand geballt zur Faust.
     
     Hoffnungslos verdreht, vertrackt,
     jede Aufgabe verzwackt,
     jeder Ansatz stirbt im Keim,
     alles gibt und gibt kein' Reim.
     X und Yps'lon, diese beiden,
     konnte Hein noch niemals leiden.
     Und sein Zorn entlädt sich: "Platte,
     du verdammte, miese Ratte!!"
     
     Lehrer Platte unterdessen
     hat auf seinem Platz gesessen,
     kontrolliert kühl-distanziert
     jeden Schreibakt ungeniert,
     tadelt, wenn zu tadeln ist,
     funkt dazwischen, wenn mit List
     Augenpaare ganz verstohlen
     sich beim Nachbarn Hilfe holen.
     
     Langsam tropft die Zeit ... im Nu
     geht die Stund' dem Ende zu.
     Fieberhafte Kritzeleien,
     Krähenfüße, Krakeleien -
     Tinte strömt auf dem Papier,
     jeder müht sich. Im Visier
     bleibt das Ziel, das Platte nannte:
     "Rechne aus die Unbekannte!"
     
     Lehrer Platte schaut zur Uhr:
     "Kommt zum Ende!", sagt er nur,
     "kontrolliert ein letztes Mal." -
     Niemand hat 'ne andre Wahl.
     Hektisch sind die Schluss-Sekunden,
     sind mit großem Stress verbunden,
     und ein Kraftakt noch zum Schluss
     führt vielleicht zu einem Plus!
     
     Hein, der Tropf, ist ausgebrannt,
     jedes X noch unbekannt.
     Flehentliche Blicke bleiben
     unerwidert. Alle schreiben
     Gleichungen für sich zu Ende.
     Wenn er doch 'ne Lösung fände!!
     Doch vorbei. Da tönt die Klingel,
     aus das 'Spiel' für Hein, den Schlingel.
     
     Platte ist kein Bummelant,
     dafür ist er schulbekannt.
     Und bereits am nächsten Morgen
     blickt er Hein an voller Sorgen.
     "Komm mal her!", sagt er betroffen,
     "deine Arbeit lässt nichts hoffen.
     So bleibst du" - Hein kommt ins Schwitzen -
     "nur am Schuljahrsende sitzen!"
     
Teil 3
     Jahre kommen, Jahre gehen,
     weiter läuft das Weltgeschehen:
     Hein ist längst schon schulentlassen,
     zweimal musste er die Klassen
     wiederholen. Ach, er hatte
     Schwierigkeiten stets in Mathe.
     Platte, dieser Koryphäe,
     tat das ganz besonders wehe.
     
     Damals dachte der im Stillen:
     "Hoffentlich, um Gottes willen,
     braucht der Hein in seinem Leben
     sich nicht länger abzugeben
     mit dem Rechnen." Dieses war
     Lehrer Platte völlig klar,
     und ein letztes Wort an Hein:
     "Leb', doch lass das Rechnen sein!"
     
     Eines Tages Jahre drauf,
     wie's so kommt, der Schicksalslauf
     bringt ein spätes Wiedersehen.
     Hein sieht Platte draußen gehen,
     spricht ihn an, den alten Lehrer,
     der erschrickt und fragt: "Wer wär' er?"
     Hein, der lächelt, stellt sich vor:
     "Ich war doch Ihr Rechen-Tor!"
     
     Platte stutzt, da fällt ihm ein:
     "Mensch, du bist's! Du bist der Hein!"
     Und vor Rührung innig-warm
     reicht er ihm die Hand, den Arm.
     "Du siehst aber stattlich aus",
     fährt er fort, "ich folger draus,
     dass du fleißig warst und strebst,
     dass du ganz erfolgreich lebst."
     
     Hein, der schmunzelt, ja er lacht:
     "Denken Sie!", sagt er dann sacht,
     "seit zehn Jahren jetzt genau
     bin ich bei der EDV,
     hab studiert Physik und Mathe
     bei Professor Hermann Klatte
     und bin nun als Prokurist
     auch Computer-Spezialist!"
     Platte glaubt nicht, was er hört.
     Innerlich ist er empört.
     Hein - Computer-Spezialist!?
     Und dazu als Prokurist?
     Das ist doch ein starkes Stück,
     denkt's und sagt: "Du hattest Glück!"
     Ach, da lächelt Hein ganz still:
     "Man kann vieles, wenn man will!"
     
     Beide trennen sich danach,
     wünschen sich 'nen "Guten Tag!".
     Und der Platte, noch verstört
     über das, was er gehört,
     denkt - der Zweifel nagt an ihm -:
     "Dieser Hein ist sehr sublim.
     In der Schule", so sein Schluss,
     "war der doch 'ne taube Nuss!?!"
     
     "Hatte ich mich denn geirrt?",
     fragt er sich verdutzt, verwirrt.
     "War der Unterricht verkehrt?
     Hab ich etwa falsch gelehrt?
     Hatte ich ganz allgemein
     mich vertan bei diesem Hein?
     Sind denn Noten ohne Sinn?",
     so sinniert er vor sich hin.
     
     Diesen kritischen Gedanken
     weist er allerdings in Schranken:
     Zeugnisnoten gibt's zu Recht.
     Ob sie gut sind oder schlecht -
     Hinweis sind sie, mehr auch nicht,
     sie zu geben heißt die Pflicht.
     Und ein Fünfer-Kandidat
     hol bei Hein sich Trost und Rat.
     
     Noch daheim denkt Platte weiter.
     Sein Gemüt ist wieder heiter,
     und es spricht der Schulbeamte:
     "Ja, so ist's, die gottverdammte
     Schule mag nicht jeder gern!"
     Dies durchfährt den alten Herrn...
     und er trinkt für sich allein
     ein Glas Wein auf "seinen" Hein!


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Ulrich Kulicke

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