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Drey

       copyright: © Johann Jakob Jesteburg, September 2o12

Ich bin kein Mathematiker. Aber hin und wieder denke ich über Zahlen nach. Über ihren Wert, ihren Sinn. Über die Idee hinter einer Ziffer. Über die Echtheit, die Authentik einer, sagen wir - 18. Ist sie in Wahrheit heute viel weniger wert? Wird man eine 18 wirklich je begreifen?
 
Einem Computer ist das egal, der geht mit Zahlen um, wie mit Fertighäusern. Doch er begreift nicht, dass jedes Haus aus einzelnen Ziegeln zu sinnvollen Mauern und Räumen kombiniert wurde. Man sollte sich erklären können, wie jede Zahl zusammengesetzt ist. Greifen wir eine heraus, die "Achthundertdreiundsechzig" z.B., welche Idee liegt ihr zugrunde, was war ihr Gerüst, ihr inneres Konstruktionsprinzip? Aber so hoch musste man gar nicht hinaus. Es beginnt schon mit ganz kleinen Nummern. Nehmen wir eine: Zwei. Muss man sich nicht erst einmal klar machen, aus welchen Elementen sie besteht, nämlich aus einer Eins hier und einer Eins da. Zwei völlig unabhängige Werte, die beschlossen hatten, es miteinander zu versuchen. Und damit man nicht immer sagen musste: eins hier und eins da, nannte man solche Vereinigungen künftig "Zwei". Ein Kunstwort, eine Konvention.
 
Mehr noch: welch große Denkleistung ist nötig, um nur die kleine Drei zu begreifen, eine geheimnisvolle Zahl. Wer weiß, vielleicht ist ihre Zusammensetzung erst seit kurzer Zeit erforscht. Vielleicht, so denke ich, ging die Drei auf einen heute vergessenen Mathematiker zurück. Einen Mann, der mit Zahlen nicht umging, wie ein Buchhalter, faktisch, korrekt, kritiklos, sondern sortierend wie ein Hühnerzüchter oder spielerisch wie ein Jongleur, dem auch mal was runter fällt. Ich stelle mir einen Kerl im besten Mannesalter vor, vielleicht ein Klostergelehrter, nennen wir ihn . äh . Johann Jakob Drey. Der lebte vielleicht in irgendeinem dritten Jahrhundert.
 
Nehmen wir mal an, dass dieser Meister Drey während der Oster-Tage mit kleinen Mengen von Eiern experimentierte. Ich vermute, Drey hatte eine Vision: er war davon überzeugt, dass es jenseits der bekannten 'Zawei' eine unbekannte Größe gab, die mehr drauf hatte, als die Zawei, die aber kleiner war, als die Vihier.
 
In strengen Versuchs-Reihen hatte er unermüdlich oines und oines zusammengefügt und war auf zawei Eier gekommen. Zählend. Dann hatte er zawei und noch zawei zusammengefügt und war auf vihier gekommen. Wie unzählige Zählmeister vor ihm. Und doch ahnte er die Existenz eines Wertes, der genau zwischen diesen von der Kirche anerkannten Positionen schwebte, unentdeckt weil unsichtbar für seine im Dunkel des finstersten Mittelalters zusammenzählenden Zeitgenossen.
 
Nahezu die gesamte Zahlen-Welt wurde damals von Schuhmachern beherrscht. Diese Zunft diktierte alle zulässigen Schritte einer in ihrem Sinne laufenden Praktischen Mathematik, die über das PS (Paar Schuhe) nicht hinweg gehen konnten. Man ließ nur Zahlenwerte zu, bei denen kein unverkäuflicher Einzelschuh übrig blieb. Lange Zeit reichte diese Denkweise für Rechnungen jeder Art völlig aus.
 
Schließlich war es die Epoche, in der niedergelassene Zawai- oder Vihier-Sterne-Köche an ihrem Herd noch Trauungen vornehmen durften. Sie fügten oines und oines zusammen und gingen zurück in die Küche (oin Mann und oine Frau - noch oines war zum Ehevollzug nicht notwendig, auch nicht schicklich, also undenkbar). Wenn dann später Kinder kamen, begann man neu zu zählen. Man zählte damals: oines, zawai, vihier, funef, sekes, achet und so weiter.
 
Erst vor wenigen Jahren war, gänzlich gegen den Willen der Schuhmacher, die Funef von dem Laien-Zähler Hironymus Bauknecht aufgespürt und für 'wahr' erklärt worden. Er gab der Zahl den Namen seiner Geliebten: Funnefa. Natürlich hätte seine Heiligkeit, der Papst, ihn nur zu gern am nächstbesten Kirchenschiff kielholen lassen. Japanische Päpste zählten damals zu den striktesten Bewahrern kirchlicher Werte. So auch Papst Yamamochi der Zerwölfte.
 
Doch die Bauknechtsche Zahl setzte sich unter Zählern der progressiven Szene insgeheim als Zusatzzahl durch. Schließlich ließ sie sich mit einfachsten Mitteln an den Fingern einer gesunden Hand beweisen und war damit von Gott gegeben. So konnte selbst die zahlenmäßig überlegene Kirche sich diesem neuen Hand-Wert nicht mehr verschließen, sondern konnte nur noch zornig die Faust ballen. Papst Yamamochi der Zerwölfte begann, in seiner Bulle "Mumpizae Penta" gegen den Zahlen-Zauber hirtenmäßig abzulästern. Der Rechnungshof des Vatikans belegte von Stund an die Funef mit dem Makel der "ungeraden" Zahl und hatte damit unterm Strich gewonnen. Der arme Bauknecht starb jung und relativ ungerade. Während einer der damals in Mode kommenden Volkszählungen wurde er einfach abgerundet.
 
Drey dagegen war ein Kerl von unberechenbar wehrhaftem Naturell. Der ließ sich solche Repressionen nicht gefallen und holte dazu aus, mit dem Heiligen Stuhl abzurechnen, Auge um Auge, Zahl um Zahl.
 
Einen ersten, mutigen Schritt wagte Drey in der Streitschrift: "Da penta mal vida", die er an alle Pforten der zeitgenössischen Tchibo-Filialen schlug. Darin rechnete er der Kirche vor, dass sich die Gotteszähler mit der Nichtanerkennung der Funef ganz gewaltig verzählt und ihren Glaubenskredit in die Miesen gefahren hätten. Ein unverantwortlicher Rechnungsfehler des Klerus, den sich selbst der Gläubigste an den funef Fingern abzählen konnte.
 
Eine so eiskalt berechnende Kampagne gegen sich, das hatte der Heilige Vater noch nicht erlebt. Und Wut schnaubend ließ er Tchibo landesweit entkoffeinieren, trank nur noch Hirten-Tee und setzte es durch, die schon im vihierten Konzil beschlossene Anschaffung von zawai Tchibo-Rheumadecken (seine Frau litt genau wie er unter dem feuchten Klima in Osaka) vorerst ad acta zu legen.
 
Drey, der für seine gelungene Promotions-Aktion vom obersten Tchibo-Herren dankbar mit lebenslänglichem Edelmokka und einer kompletten Alles-für's-Bad-Ausstattung geehrt wurde, fühlte sich durch diesen Etappensieg auf das Schönste bestätigt. Mit Fiebereifer stürzte er sich in seine Forschungs-Arbeit an der neuen Zahl.
 
Doch es sollten noch elvis Jahre vergehen, bis der entscheidende Durchbruch gelang. (Ganz nebenbei, 'Elvis' ist eine selbst in unseren Tagen noch fragliche Unzahl des flämischen Lebens- und Rechenkünstlers Jean-Claude Lebruelvís, genannt: Elvis. Die Zahl ist unserer modernen Elf angenähert, trifft sie jedoch niemals genau, sondern landet immer geradewegs einen halben Ton daneben.)
 
Als nun Drey eines scheinbar schönen Tages im Spätsommer seines zählerischen Schaffens im Garten unter einem Apfelbaum ruhte, fiel ihm ein überreifer Apfel auf den Kopf. Jeder andere Gelehrte seiner Epoche hätte daraufhin ärgerlich den Schöpfer verflucht. Doch Drey war ein besonnener Mann. Er verfluchte Isaak Newton, legte die gefallene Frucht zu seiner Rechten ins Gras und schlief wieder ein.
 
Als ihm der nächste Apfel auf den Kopf fiel, fügte er ihn dem Ersten hinzu und überschlug, ruhend, doch nicht rastend, das Ergebnis. Neben ihm lagen: zawai Äpfel.
 
Damit lag er völlig im Einklang mit den diktierten Dogmen seiner Zeit. Doch dass er nun wieder eingeschlafen wäre, daran war im Traum nicht zu denken. Denn plötzlich erwachte in ihm die Hoffnung auf eine wirklich weltverändernde Entdeckung.
 
Wie alle großen Gedanken, so war auch dieser sehr einfach. Zunächst traf er hellwach, und ganz im traditionellen Rechengeiste, die Voraussage, dass die beiden als nächste fallenden Äpfel in der Summe den Wert "Vihier" ergäben. Aber was wäre, wenn sich dieser Fall nicht einstellte, wenn stattdessen nur ein oinziger Apfel abfiele. Dann läge hier neben ihm eine unbekannte Menge: zawai plus "noch was". Wie mochte man das zählen? Oins, zawai, ups.
 
Falls der nächste Apfel oinzeln fällt, würde Drey das fehlende Glied zwischen Zwai und Vihr vor Augen haben, es läge zählbar vor ihm im Gras, als Grundmenge einer neuen Ordnung, schlicht einer Revolution, die nicht nur die Malen-nach-Zahlen-Industrie zum Neuanfang zwänge. Das klare und logische Gebäude der Mathematik müsste neu errichtet werden. Und endlich würden auch seine ärgsten Feinde mit ihm rechnen müssen. Drey stünde morgen auf Seite Oines aller Gazetten. Und das war es schon immer, was zählte.
 
Eine solche Ehrung käme nicht unverdient. Denn schon früher einmal war Drey mit einer spektakulären Entdeckung leider überhaupt nicht aufgefallen. An einem der letzten tollen Tage im Februar hatte er bei einem nüchternen Blick auf seinen Kontoauszug eine böse Zahl entdeckt: die Nuhull. In seinem darauf reflektierenden Traktat 'Vida-Nix', einer kreuzdonnernden Mahnschrift an den Türen aller Sparkassen, bezeichnete er die Null fortan als 'existent', eine teuflische Zahl ohne Wert, die dem gefürchteten "Giro Vacui", nämlich der absoluten Pleite gleichzusetzen war.
 
Diesmal war Ihre Heiligkeit schlauer. Sie bestätigte die fromme Entdeckung, wies ihr aber die angemessene Nuhull-und-Nichtigkeit zu. Die zählende Fachwelt schenkte Drey konsequenterweise auch "null" Beachtung.
 
Doch heute hing der Ruhm Dreys zum Greifen nahe an einem Baum. Ein leichter Wind ließ die Zweige schwingen, lies den Apfel-Fall wahrscheinlicher und wahrscheinlicher werden, steigerte sich zum Sturm und zauste in den Baumesfrüchten, doch sie hielten. Aber auch Drey hielt fiebrig aus, sogar noch, als ein heftiger Gewitterregen einsetzte.
 
Und dann geschah es. Wie ein letzter Versuch des Herrn, sich nicht in die Zahl-Karten schauen zu lassen, schlug ein kolossaler Blitz in die Baumkrone, der glühende Stamm stürzte und begrub Johann Jakob Drey unter sich. So kurz vor seiner End-Abrechnung.
 
Sein ewig schwänzender Schüler Kevin Milliardear, ein junger Schwärmer, dem die Mathematik eines fernen Tages eine Zahl von hohem Rang verdanken wird, er fand den Zähl-Meister erst Wochen später in seinem Garten. Dem Jungen bot sich ein Bild des Grauens. Der alte Drey lag mit seinem inzwischen bratapfel-artig geschrumpften Kopf neben zwei ebenso durchgefaulten Äpfeln auf dem Rasen. Was den entsetzten Knaben dazu veranlasste, als erster Mensch eine Reihung mit den Worten zu beginnen: "Oines, zawai - und Drey!"
 
Seit diesem Tage ...


Johann Jakob Jesteburg

Schreibt äußerst nachdenklichen Blödsinn.


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